Im Zweifel für den Angeklagten

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Man darf nun hoffen, dass nicht nun auch weitere Leichen aus den Gräbern geholt werden um sie zu bestrafen, für Taten, die sich heute nicht mehr nachvollziehen lassen. Da fährt man einen über 90 jährigen Mann in einem Rollstuhl aus dem Untersuchungsgefängnis in einen Gerichtssaal, der schon fast das Zeitliche segnet und vin dem ganzen Spektakel um ihn nichts mehr mit bekommt. Mit der Verurteilung des gebürtigen Ukrainers John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft ist einer der womöglich letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland zu Ende gegangen. Das Landgericht München II sprach Demjanjuk der Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor vor 68 Jahren schuldig. Verteidiger Ulrich Busch kündigte an, Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) einzulegen.

Der Grundsatz In dubio pro reo (lat. „Im Zweifel für den Angeklagten“), kurz Zweifelssatz, ist ein schlagwortartiger Ausdruck dafür, dass im Strafprozess ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, wenn dem Gericht Zweifel an seiner Schuld verbleiben.

Das Urteil gegen John Demjanjuk hat in erster Linie symbolischen Wert. Anders kann man es nicht nennen, wenn ein 91-jähriger kranker Greis zu nur fünf Jahren Haft verurteilt wird, das Gericht aber als freier Mann verlässt, und das trotz der richterlich festgestellten Beteiligung an dem Massenmord an rund 28 000 Juden im NS-Vernichtungslager Sobibor.

Auch haftet dem Urteil der Makel an, dass die Staatsanwaltschaft Demjanjuks Schuld nicht klar beweisen konnte. Es gab zwar viele Indizien, aber letztlich keinen konkreten Tatvorwurf; kein Zeuge hat den gebürtigen Ukrainer je in Sobibor gesehen. Und es steht nach wie vor der Vorwurf im Raum, das Hauptbeweisstück, Demjanjuks Dienstausweis, sei eine Fälschung. Weil der Richter trotzdem der Anklage gefolgt ist und den Mann schuldig gesprochen hat, muss er sich von Kritikern nun vorwerfen lassen, die deutsche Justiz messe mit zweierlei Maß, schließlich heiße es ansonsten: im Zweifel für den Angeklagten.

Demjanjuks Fall zeigt vor allen Dingen auf, was die Rechtsprechung der Bundesrepublik in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg versäumte. Als Täter und Zeugen noch nicht alt, krank oder schon verstorben waren, wäre Zeit gewesen für eine lückenlose Aufklärung von NS-Kriegsverbrechen. Urteile hätten wirklich Bestrafung sein können und nicht nur, wie jetzt bei Demjanjuk, Symbolcharakter gehabt. Das schrieb die Neue Osnabrücker Zeitung.

Der Grundsatz ist im deutschen Recht gesetzlich nicht normiert, wird aber abgeleitet aus Art. 103 II GG, Art. 6 II EMRK sowie aus § 261 StPO. Der Grundsatz hat Verfassungsrang. In Österreich hingegen ist das durch Art. 6 II EMRK im Verfassungsrang stehende Prinzip auch direkt in § 259 Abs. 3 StPO umgesetzt.