Wulffs peinlicher Auftritt und Pressestimmen

Bundespräsident Christian Wulff gibt heute Abend ein Fernseh-Interview. Die Fragen stellen Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF). Das Interview wird um 20:15 Uhr in voller Länge gesendet. Ausschnitte davon sind schon über alle Sender gelaufen. Alles was man wissen will oder auch nicht wissen will, was wichtig war schein die Aussage zu sein, dass er nicht zurück treten wird. Jetzt auch noch völlig schmerzfrei auch gegenüber der Frage nach dem Anruf und der Drohungen gegenüber Bild Chef. Von 1980 bis 1986 studiert Christian Wulff Rechtswissenschaften mit wirtschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt an der Universität Osnabrück. 1987 leistet er sein Referendarexamen in Hannover, danach sein Referendariat am Oberlandesgericht Oldenburg und legt 1990 sein Assessorenexamen in Hannover ab. 1990 tritt Christian Wulff in eine Rechtsanwaltskanzlei ein. Gerade er müsste wissen, was in einem Gesetz für Nötigung steht und was das bedeutet.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung Essen (ots) – Hat der Bundespräsident im Fernsehen seine Freiheit wieder gewonnen? Hat er sich die Macht zurück erobert über die einzige Waffe, die er hat: sein Wort? Kann er morgen wieder ein ganz normales Staatsoberhaupt sein, eines, das die Gier der Finanzmärkte geißelt, die Bürger auffordert, sich nicht zu bereichern, für Offenheit und Ehrlichkeit als politische Tugenden eintritt, in Unterdrückerstaaten die Pressefreiheit einfordert. Und so weiter. Wohl kaum. Durch seine Fehler hat Christian Wulff seine Möglichkeiten und die seines Amtes schwer beschnitten. Er ist, aus eigenem Verschulden, nicht einmal ein halber Spitzenstaatsbeamter. Das hat sich auch durch seinen TV-Auftritt nicht geändert. Die Kanzlerin hat nach dem gescheiterten Seiteneinsteiger Köhler einen Politprofi gesucht, einen, auf den Verlass sein würde in puncto Seriosität und Stilempfinden. Gerade von Wulff glaubte sie, Unfallfreiheit erwarten zu können. Ein Irrtum. Ein Präsident, der um Verständnis bittet und um Entschuldigung. Ein Präsident, der seine Familie nach vorne schiebt. Und auch einer, der die seltsamsten Spekulationen um seine Frau noch selbst befeuert, indem er diese als „Fantasie“ bezeichnet. Einer, der sich am Ende selbst freisprechen muss, weil es kein anderer tut. Zum Fremdschämen.

Kommentar von Ulrich Reitz
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Mindener Tageblatt Minden (ots) – Fassen wir zusammen: Herr Wulff aus Osnabrück, damals noch niedersächsischer Ministerpräsident, hat sich von Freunden Geld geliehen. Das hat er dem niedersächsischen Landtag nicht in hinreichender Deutlichkeit mitgeteilt, als der danach fragte. Er hat auch bei Freunden Urlaub gemacht. Bei dem Versuch, mit der aus diesen Vorgängen resultierenden kritischen Berichterstattung umzugehen, hat er sich nicht gerade als souverän erwiesen – was zu weiterer hochnotpeinlicher Untersuchung seiner Eignung für das höchste Amt im Staate führte. Samt einschlägiger politischer Zweitverwertung. Muss ein Präsident deswegen zurücktreten? Darüber kann man gewiss geteilter Auffassung sein. Fest steht: Mit wachsender Intensität der medialen Tiefenbohrungen und den zunehmend höher tönenden Leitartikeln geriet Volkes Meinung, zunächst noch recht ungerührt, ins Schwanken. Die breitflächig ausgewalzte Intensivdurchleuchtung eines – so vermuten wir mal –

Charakters von letztlich auch nicht größerer Komplexität als der überwiegenden Mehrheit des Staatsvolks offenbarte Defizite zum Idealbild des Ersatzmonarchen. Als der muss der Bundespräsident in unserer so nüchternen, weil auch nur von Menschen gelebten Demokratie nun mal herhalten. Und hatte nicht gerade auch schon ein Freiherr alle optimistischen Vorstellungen von der Integrität einer reinen Elite enttäuscht? Ob Christian Wulff mit dem spektakulären Selbstkritik-Interview von gestern Abend seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann, liegt nicht in seiner Hand. Der ob so viel Beschäftigung mit diesem Thema inzwischen irritierte Bürger jedenfalls will langsam Ruhe haben, das kennt man aus den Erregungskurven anderer „Affären“. Doch selbst wenn ihm das rituelle Rücktrittsopfer erspart bleibt, wird er für den Rest seiner Amtsperiode beschädigt bleiben. Und sicher kein Ersatzmonarch mehr.
Originaltext: Mindener Tageblatt

Westdeutsche Zeitung: Wulff bleibt, weil er will und weil er muss = von Lothar Leuschen

04.01.2012 – 19:23 Uhr, Westdeutsche Zeitung Düsseldorf (ots) – Das Fernsehinterview von Christian Wulff hat weder viel Neues gebracht, noch ändert es die Situation. Dass der jüngste Bundespräsident in der Geschichte dieser Republik telegen ist, dass er sich ausdrücken und sehr sympathisch wirken kann, war auch vorher schon bekannt. Das ist ein Hauptgrund dafür, dass so viele Bürger dem Mann aus Osnabrück immer noch den Rücken stärken. Sie sehen einen netten Familienmenschen, der von der geballten Medienmacht in die Enge getrieben worden ist. Sie verkennen, dass Wulff dazu allen Anlass gegeben hat. Ein Bundespräsident kann sich nicht leisten, was Wulff sich wohl in einem Anfall von Panik geleistet hat. Das muss ihm in den vergangenen Tagen klar geworden sein. Also ging er gestern abermals in die Offensive. Der Erklärung vom Dezember folgte das Interview bei ARD und ZDF. Es war seine letzte Chance.

Und was hat es gebracht? Nichts, außer der Erkenntnis, dass Wulff um sein Amt kämpft wie ein Löwe. Dafür hat er persönliche und politische Gründe. Mit Anfang 50 steht der Bundespräsident noch mitten im Berufsleben. Was aber soll noch kommen, wenn er jetzt das Handtuch wirft, wenn er als gescheitert, skandalumwittert aus dem höchsten Amt im Staate scheidet? Dann zeigen viele mit dem Finger auf ihn, tuscheln hinter vorgehaltener Hand über den ehemaligen Bundespräsidenten und seine Familie. Diese Last mindern auch Pension, Chauffeur und Büro auf Staatskosten nicht. Aber auch seine Parteifreunde können Wulff nicht vorzeitig gehen lassen. Kanzlerin Angela Merkel stünde als Verliererin da. Nach Horst Köhler wäre Wulff in ihrer Kanzlerschaft schließlich der zweite Präsident, der vorzeitig abträte. Dies und der Umstand, dass die Kräfteverhältnisse in der Bundesversammlung derzeit nicht eindeutig sind, zwingen die Regierungsparteien dazu, an Wulff festzuhalten. Also macht der Bundespräsident weiter. Doch eine gute Amtszeit wird ihm nicht mehr vergönnt sein. Die Wogen mögen sich glätten, wenn nicht neue unangenehme Details aus seinem Privatleben an die Öffentlichkeit kommen. Aber die Geschichte wird sich für immer an einen Bundespräsidenten erinnern, der am Ende doch viel zu klein war für dieses große Amt. Das ist bedauerlich.

Originaltext: Westdeutsche Zeitung

Gesine Lötzsch: Der Bundespräsident hat ein gestörtes Verhältnis zur Presse, zur Wahrheit und zum Geld

04.01.2012 – 19:18 Uhr, Fraktion DIE LINKE. Berlin (ots) – Zu den heutigen Äußerungen von Bundespräsident Christian Wulff erklärt die Vorsitzende der Partei DIE LINKE Gesine Lötzsch:

Das heutige Interview des Bundespräsidenten war kein Befreiungsschlag. Noch immer sind viele Fragen offen. Noch immer verharrt er in seiner Taktik des Aussitzens und Abwartens. Er hat ein gestörtes Verhältnis zur Presse, zur Wahrheit und zum Geld. Sein Handeln in den vergangenen Wochen hat das Amt und unser Land beschädigt. Bundespräsident Wulff muss jetzt selbst mit sich ausmachen, welche Konsequenzen er zieht. Jetzt kommt es auf seinen Charakter an.

Originaltext: Fraktion DIE LINKE.

Südwest Presse: KOMMENTAR zu WULFF Ausgabe vom 04.01.2012

04.01.2012 – 19:06 Uhr, Südwest Presse Ulm (ots) – KOMMENTAR zu WULFF

Ausgabe vom 04.01.2012 Ohne die schützende Hand Angela Merkels gäbe es den Bundespräsidenten Christian Wulff nicht mehr. Zu desaströs ist das Echo auf das Krisenmanagement eines Staatsoberhaupts, das schon die Nerven und die Selbstkontrolle verliert, wo zwar seine persönliche Integrität zur Debatte steht, aber keineswegs das Schicksal der Nation. Was würde Wulff erst machen, wenn er über Existenzfragen des Landes zu entscheiden hätte? Die Kanzlerin hält erst einmal eisern an Wulff fest, weil sie kein Interesse daran hat, erneut auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten für das höchste Amt in dieser Republik zu gehen. Die schwarz-gelbe Koalition in ihrem fragilen Zustand bietet nicht den nötigen Rückhalt für eine so wichtige Personalentscheidung. Merkels Handeln wird, wie schon bei der im Ergebnis unglückseligen Auswahl von Horst Köhler und dessen Nachfolger, von Machtkalkül und Parteitaktik bestimmt. Christian Wulff darf einstweilen bleiben, aber eine dauerhafte Arbeitsplatzgarantie für den Präsidenten bedeutet die wiederholte Ehrenerklärung der Kanzlerin nicht. Auch nach dem bestellten TV-Interview wird der Chor der Kritiker, Zweifler und Spötter nicht verstummen. Zumal man damit rechnen muss, dass es weitere Anlässe für Wulff geben könnte, vergangenes Fehlverhalten zu bedauern und neuerlich um Verzeihung zu bitten. Diese Aussicht ist weder für ihn selbst noch für sein Publikum behaglich.

Originaltext: Südwest Presse