Das türkische Volk stimmt für die Verfassungsreform

Ein Überzeugender Sieg für Erdogans AKP1 Deutlicher als erwartet hat das türkische Stimmvolk einer Verfassungsreform zugestimmt. Ein Jahr vor den Parlamentswahlen kann Ministerpräsident Erdogan damit einen gewichtigen innenpolitischen Erfolg verbuchen.

Rund 50 Millionen türkische Wahlberechtigte haben am Sonntag, dem 30. Jahrestag des Militärputsches von 1980, über eine Reform der noch von den Putschisten aufgesetzten Verfassung entschieden. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 78 Prozent haben sie dabei dem aus 26 Gesetzesanpassungen bestehenden Reformpaket deutlicher als erwartet zugestimmt. Nach der Auszählung von 99 Prozent aller Wahlurnen lag der Anteil der Ja-Stimmen bei 58 Prozent. Ministerpräsident Erdogan sprach am Sonntagabend von einem Wendepunkt für die türkische Demokratie; die Reform sei zudem ein wichtiger Schritt bei der Heranführung des Landes an die Europäische Union.

Das Resultat stellt einen gewichtigen Erfolg für Erdogans islamisch-konservative AKP dar. Der damit einhergehende Auftrieb ist umso wertvoller, als in knapp einem Jahr die Parlamentswahlen anstehen. Bei dieser Wahl strebt die seit 2002 an der Macht stehende AKP ihr drittes Regierungsmandat in Folge an. Dem Referendum kam daher in der öffentlichen Wahrnehmung der Charakter eines Plebiszits über die Regierungspartei zu – eine Wahrnehmung, die sehr zu Lasten einer vertieften öffentlichen Debatte über den konkreten Inhalt der Verfassungsreform ging.

Da die AKP bei der letzten Parlamentswahl von 2007 auf einen Anteil von knapp 47 Prozent kam und ihre Unterstützung seither leicht zurückging, war sie für eine Mehrheit auf Stimmen ausserhalb ihrer Stammlande angewiesen. Diese Stimmen scheinen nicht zuletzt von kurdischen Wählern, die den Boykottaufruf der wichtigsten Kurdenpartei BDP ignorierten, gekommen zu sein. Motiviert zur Teilnahme am Referendum wurden sie durch jene Verfassungsänderungen, die eine Einschränkung der Befugnisse der Militärjustiz und die Möglichkeit zur Strafverfolgung der Putschisten von 1980 vorsehen. So litt die kurdische Minderheit besonders stark unter der brutalen Militärherrschaft der achtziger Jahre.

Am meisten Gewicht kommt jedoch der Justizreform zu. Über eine Veränderung des Wahlmodus und eine personelle Aufstockung des Verfassungsgerichts und des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte wird die Justiz laut AKP auf eine demokratischere Basis gestellt. Die kemalistische Opposition, die unter Führung der Republikanischen Volkspartei (CHP) gegen die Verfassungsreform eintrat, sah in der Reform jedoch den Versuch der Regierungspartei, ihren Einflussbereich auch auf die Richter auszuweiten. So wird über die Aufstockung der beiden Gremien vor allem der Staatspräsident und das Parlament zu entscheiden haben; sowohl das Präsidium als auch das Parlament befinden sich derzeit in der Hand der AKP.

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Erdogan testet seinen Rückhalt

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http://www.nzz.ch/nachrichten/international/erdogan_testet_seinen_rueckhalt_1.7496594.html