Wie kam das Böse in die Welt? Wann wird es verschwinden?

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Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wie es möglich sein kann, dass Menschen morden, quälen und sich auch noch darüber freuen können? Haben die denn gar kein Herz? Seit jeher übt das Böse eine starke Anziehungskraft auf den Menschen aus. Die überwiegende Mehrzahl sieht lieber Horror- , Kriegs- und Gewaltfilme, in denen Blut fließt, gemordet, geprügelt und gefoltert wird, als „Kulturkino“; Krimis fesseln mehr als Liebesromane, und bereits Dante fiel die Schilderung höllischer Qualen in seiner „Divina Commedia“ leichter als die Beschreibung himmlischer Freuden. Römer hatten ihr Vergnügen an blutigen

Gladiatorenkämpfen und der heutige Sportzuschauer erhält seinen zusätzlichen „Kick“ bei brutalen Fouls und Unfällen.

Auch Literatur wäre überwiegend langweilig ohne die Darstellung menschlicher Schwächen, innerer und äußerer Kämpfe, Kabale und Intrige, Mord und Totschlag,Gewalt und Eifersucht. Man stelle sich einen Roman vor, der über Hunderte von Seiten ausschließlich Harmonie und Glückseligkeit beschriebe. Zum Bestseller würde er wohl ausschließlich als Schlafmittel taugen.

Der Mensch flieht also einerseits für gewöhnlich das Böse, meidet und verurteilt es, ist aber andererseits faszinierter Beobachter und kann sich meist seinem Bann nicht entziehen.

Der Psychopath stärkt sein Ego und genießt sein Machtgefühl über seine Mitmenschen, indem er sie demütigt, knechtet, quält, tötet oder ihnen anderweitigen Schaden zufügt – ein wenig davon steckt in den meisten von uns in Form offener oder klammheimlicher Schadenfreude und der nicht seltenen Faszination beim Anblick des Übels anderer.

Das Böse ist untrennbar mit dem Menschen verbunden und äußert sich durch ein starkes Machtstreben zu Ungunsten Dritter, das in seiner reinsten und extremsten Form fremdes Leben um der puren Lust oder Habgier willen quälen und vernichten will. Dahinter steckt ein pervertierter, enormer Hunger nach Leben und ein Wille zur Macht, der seinen höchsten Triumph darin findet, seine Existenz zu erhöhen, indem er andere Existenzen zerstört und deren Zerstörung als seine höchste Art von Glück genießt.

Insofern ist das reine Böse ein Aspekt der Natur und kommt erst beim Menschen zu Bewusstsein. Es entspricht einer Überhöhung des Willens zum Leben, der gewissermaßen in einzelnen Individuen kontrolliert und mit kalter Intelligenz „über sich hinauswächst“, dessen einziges Maß nur das Ausmaß der Zerstörung und der Kontrolle fremden Lebens außerhalb seines Ego darstellt. Eine gelungene Allegorie des Bösen zeigt der Science-Fiction-Horrorfilm aus dem Jahr 1979 „Alien – das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ von Ridley Scott. Der Lebenshunger dieses faszinierend-abstoßenden und höchst aggressiven und „lebenstüchtigen“ Wesens ist durchaus irdischer Natur. Zeitgenössische Psychopathen zeigen sich selbstverständlich überwiegend smart und charmant und von meist überdurchschnittlicher Intelligenz. Sollte jedoch ein Künstler ein Bild ihrer unmaskierten und nackten Psyche darstellen, wäre die „Alien“-Vorlage durchaus geeignet.

Insofern beantwortet sich die eingangs gestellte Frage nach dem Bösen in der Welt dadurch, dass es „von Anfang an“ Teil und Eigenschaft dieser Welt war. Die Welt ist von Grund auf böse und „Πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστι. – Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ (Heraklit).

Das mag düster und pessimistisch klingen – es gibt aber auch durchaus Tröstliches. Das Leben und der mit ihm untrennbar verbundene Wille in der Natur sind offenbar darauf angewiesen, ihresgleichen zu „benutzen“. Dieser Wille zeigt sich bereits bei anorganischem „Leben“ in Form von Naturkräften. Magnetismus, Gravitation und Elektrizität sind strebende Kräfte, die man durchaus einem „Willen“ gleichsetzen könnte. Das organische und „eigentliche“ Leben „frisst“ das eine Stufe unter ihm stehende Leben. Tiere Pflanzen. Menschen Pflanzen und Tiere. Selbst der strengste und friedlichste Veganer oder Frutarier benötigt fremdes Leben zum eigenen Überleben. Selbstverständlich ist das weder als „böse“ noch als „unmoralisch“ zu betrachten. Es handelt sich jedoch um ein Grundprinzip, dessen letzte und radikalste Erscheinung und Konsequenz sich in der menschlichen und hochintelligenten, kalten und berechnenden Bosheit zeigt, deren Höhepunkt wieder im Psychopathen erscheint.

Der Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz meinte hinsichtlich des Theodizeeproblems (weshalb lässt Gott das Leiden in der Welt zu?), dass wir „in der besten aller möglichen Welten“ lebten. Der Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell (* 18. Mai 1872; † 2. Februar 1970) zeigte hingegen „höchstes Erstaunen“ darüber, „dass Menschen glauben können, diese Welt mit allem, was sich darin befindet, und mit all ihren Fehlern sei das Beste, was Allmacht und Allwissenheit in Millionen von Jahren erschaffen konnten“. Er fragte: „Meinen Sie, wenn Ihnen Allmacht und Allwissenheit und dazu Jahrmillionen gegeben wären, um Ihre Welt zu vervollkommnen, dass Sie dann nichts Besseres als den Ku-Klux-Klan oder die Faschisten hervorbringen könnten?“

In der Tat sieht es auch empirischen Gesichtspunkten zufolge nicht danach aus, dass wir – ohne die Verdienste Leibniz` zu schmälern – in der besten aller möglichen Welten leben. „Wäre sie nur ein klein wenig schlechter, könnte sie schon nicht mehr existieren“, war die Überzeugung Arthur Schopenhauers, die angesichts atomwaffenstarrender, aufrüstender Staaten und kriegshetzerischer Presse wieder erschreckende Aktualität erlangt hat.

Für Christen wirkt es wie ein Schlag ins Gesicht, wenn man bezüglich des Theodizee-Problems die Antwort erhält „Gott will uns durch das Böse prüfen“. Denn weshalb sollte ein missbrauchtes und unschuldiges Kind unendliches Leid erfahren müssen, damit Gott die Eltern als auch das Kind zu prüfen imstande ist. Und weshalb schuf er den Menschen in seiner Allmacht und Allgüte nicht gleich vollkommen gerecht und gut?

Für Jahrhunderte galt in dieser Frage der Begriff „Privatio Boni“, der Mangel (Raub) an Gutem. Dem Bösen wurde – erstmalig bei Plotin, dem „Gründer“ des Neuplatonismus, welcher starken Einfluss auf das Christentum ausübte – schlichtweg keine eigene Existenz zugesprochen. Das Böse war lediglich das Fehlen des Guten und das „Entferntsein“ von Gott. Je weiter sich die „Emanationen“ (das „Ausfließen“, die Ausstrahlungen) vom allguten, vollkommenen und unerschaffenen „Einen“ bis hin zur Welt der Materie entfernten, desto schlechter, „verdünnter“, unvollkommener und böser war ihr (nicht eigentliches) Sein.

Wird die Welt daher auf ewig vom Bösen regiert, welches durch Gleichgültigkeit und Unterlassung noch zusätzliche Verstärkung erfährt? Ist das Gute das eigentlich Schwache und nicht Überlebensfähige? Ist der Ruf nach Gerechtigkeit lediglich das Jammern der schlecht-weggekommenen Massen?

Hoffnung und Trost gibt uns auch hier wieder ein Blick in die Natur. Es existieren Strukturen des Lebens – auch bei Säugetieren – in denen das Individuum ausschließlich überlebt, weil es als Teil in eine Gemeinschaft gegenseitiger Hilfe und Unterstützung eingebettet ist, in der selbst das schwächste Glied nicht „aussortiert“ wird. Auch wurde von Wolfsrudeln berichtet, die verletzte und ansonsten lebensunfähige Tiere mit „durchfüttern“, obgleich dies eigentlich dem Gesetz der natürlichen Auslese widerspricht. Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, zentraler Theoretiker des kommunistischen Anarchismus oder auch „libertären Kommunismus“, wurde zum Verfechter einer herrschaftslosen und freien Gesellschaft, nachdem er nach fünfjährigem Aufenthalt in Sibirien Folgendes berichtet hatte: „Die fünf Jahre, die ich in Sibirien zubrachte, waren für mich eine Erziehung in wirklichem Leben und menschlichem Charakter…… Ich hatte reichlich Gelegenheit, die Bauern, ihre Lebensweise und Gewohnheiten, im täglichen Leben zu beobachten, und noch mehr Gelegenheiten zu erkennen, wie wenig die staatliche Verwaltung, auch wenn sie von den besten Absichten beseelt war, ihnen zu bieten vermochte.“

Durch seine eigenen Erfahrungen, die er mit der Tierwelt und den menschlichen Gemeinschaften in dieser Region machte, war er zu der Einsicht gekommen, dass die gegenseitige Hilfe einen viel bedeutenderen Faktor im menschlichen Leben und Überleben bildet als knallharte darwinistische Konkurrenz und Auslese. Der reine Darwinismus ist lediglich ein Teilaspekt der Natur. Selbstverständlich kann man die Erfahrungen in Sibirien nicht ohne weiteres auf unsere Gesellschaft übertragen. Die Anforderungen der Taiga haben diese Gesellschaftsform gewissermaßen qua natura – durch Evolution, nicht durch Revolution – entstehen lassen, ohne dass eine von außen aufgezwungene und von Menschen erdachte Ideologie dafür herhalten musste – was stets misslingt!

Der Zusammenhang allen Lebens, dem sowohl Mitgefühl als auch das vielen Religionen eigene ethische Gebot der Nächstenliebe zu Grunde liegen, entspringt einem instinktiven Gefühl, das immer dann am meisten zur Geltung kommt, wenn widrige äußere Umstände wie Naturkatastrophen und Kriege den Menschen bewusst machen, dass sie im Grunde von Anbeginn der Schöpfung eine Einheit bilden, dass ein und derselbe Wille zum Leben sich lediglich in viele Einzelexistenzen teilt, ähnlich wie unsere Körper Organismen vieler kooperierender und kommunizierender Zellen sind. Zudem gab und gibt es auch friedliche Völker, die nie Krieg gekannt haben und für welchen in ihrer Sprache auch keine entsprechende Vokabel existiert. Extrem wenige zwar, zugegeben, jedoch haben diese Völker selbstredend auch nur so lange überlebt, wie sie nicht auf kriegerische Völker trafen. Dies beweist jedoch, dass der Mensch grundsätzlich zu dauerhaftem Frieden fähig wäre. Selbstverständlich kann dies nur mit einer entsprechenden Bewusstseinsänderung einhergehen. Dieser Bewusstseinsänderung muss eine Reformation des Geld- und Wirtschaftssystems vorausgehen. Denn diesem sind Kriege und Verwerfungen immanent. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Vor allem das Sein der ökonomischen Prinzipien und – das Geld.

Quelle: PecuniaOlet